Um was geht es in Gin Phillips Roman „Nachtwild“:
Welche Mutter liebt es nicht, mit ihrem Kind an einem wunderschönen Ort viel Zeit zu verbringen? So geht es auch Joan, die mit ihrem vierjährigen Sohn Lincoln wieder einmal einen Tag im städtischen Zoo verbringt. Als sie sich auf den Heimweg machen wollen, wird aus der Idylle der blanke Horror. Joan hört Schüsse und sieht auf dem Weg zum Ausgang zahlreiche Tote und Verletzte auf den Wegen liegen. Kurzentschlossen versteckt sie sich mit Lincoln vor dem Amokläufer und ist fortan nur von einem Gedanken besessen: Wie kann sie ihren Sohn schützen?
Gin Phillips hat mit ihrem Thriller „Nachtwild“ ein Kammerspiel der ganz besonderen Art verfasst, das sich um die Frage dreht, wie weit eine Mutter geht, um Ihr Kind zu behüten. All das sind allerbeste Voraussetzungen für einen packenden Roman. Dieser beginnt jedoch recht verhalten. Auf den ersten Seiten ist Gin Phillips damit beschäftigt, die Idylle des Tages aufzuzeigen, um anschließend die dramatische Kehrtwendung deutlich zu machen. Mit dem Auftauchen der Täter bekommen nicht nur Joan und Lincoln, sondern auch der Leser eine kalte Dusche verpasst. Von diesem Zeitpunkt an überschlagen sich die Ereignisse und man hofft, dass die Spannungsschraube angezogen wird.
Leider schafft es Gin Phillips nicht, das Spannungsniveau zu halten. Immer wieder bremst sie sich, und den Leser, aus, in dem sie ihn an den Gedanken ihrer Protagonistin teilhaben lässt. Durch den Erzähler in der dritten Person bleibt dies jedoch relativ distanziert, sodass ich diese Passagen mit zunehmender Dauer als störend empfunden habe – zumal sie auch den Lesefluss erheblich bremsen. Hinzukommt, dass manche Handlungen und Reaktionen von Joan nicht wirklich nachvollziehbar sind. Exemplarisch sei hier eine Szene genannt, in der Joan auf ein fremdes Baby trifft, das sie und Lincoln zu verraten droht. Die Auflösung dieser Situation ist alles andere als glaubwürdig gelöst worden. Und noch schlimmer, Joan hat ein Handy und telefoniert mit ihrem Mann. Warum tätigt sie keinen Notruf? Das sind schon „eigenartige“ Prioritäten.
Auch die Charaktere sind nicht die große Stärke von „Nachtwild“. Lincoln wurde etwas widersprüchlich angelegt und die weiteren Personen, inklusive der Täter, werden nur oberflächlich vorgestellt. Relativ wenig spannende Handlungsfäden, viele Gedanken und noch mehr offene Fragen sorgen dafür, dass der Leser den Roman eher frustriert als wirklich begeistert zur Seite legt. Und auch das plötzlich kommende Ende wirkt nicht ganz ausgereift.
Das ist schade, aber Gin Phillips nutzt das große Potenzial ihrer Geschichte einfach nicht aus. In Zeiten, in denen in den USA die Verschärfung der Waffengesetze kontrovers diskutieren, kommt der Thriller mit einer überaus authentischen und durchaus plausiblen Idee daher. Wie würde ich in dieser Situationen reagieren? Was würde ich tun, um mein Kind zu retten? Diese Fragen stellt sich der Leser, bekommt aber nur bedingt Antworten, da ein Großteil der Geschichte mit Hintergrundinformationen zu Joan und Lincoln geradezu überfrachtet wird.
Zumindest stilistisch überzeugt Gin Phillips den Leser. Ihr schnörkelloser und gradliniger Erzählstil liest sich ausgesprochen gut und sorgt dafür, dass man auch die langatmigen Szenen schneller überbrücken kann. Richtig spannend wird es immer dann, wenn die eigentliche Handlung im Vordergrund steht.
Mein Fazit zu dem Buch“Nachtwild“:
Unterm Strich ist „Nachtwild“ ein Thriller, der über das Prädikat Massenware nicht wirklich hinauskommt. Ein Roman, in den ich hohe Erwartungen gesetzt habe, der aber seine großen Möglichkeiten nicht ausschöpft. Hier bleibt Gin Phillips den Beweis ihrer Klasse schuldig – vor allem wegen der unlogischen Handlungen, über die ich in solch einem Buch einfach nicht hinwegsehen kann. Weil mir die „Schreibe“ aber gefallen hat, bekommt die Autorin von mir noch eine Chance.
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