Rezension zu dem Roman „Das Mädchen aus Ostpreußen“ von Karin Lindberg

Um was geht es in „Das Mädchen aus Ostpreußen“?

Netti musste, wie viele andere Menschen, aus Ostpreußen fliehen und ist endlich mit ihrer kleinen Familie in Lüneburg angekommen. Es herrschen Hungersnot und Elend. Tagtäglich kämpft das junge Mädchen ums Überleben. Schließlich gelingt es ihr, auf einem Bauernhof unterzukommen. Obwohl sie dort nicht willkommen ist, wird das kleine Zimmer zu einem Zuhause für sie, ihre Mutter, die Tante und deren Sohn. Mit ein wenig Glück gelingt es Netti, die Stelle einer Haushälterin bei einem britischen Offizier zu ergattern. Endlich scheint sich die Situation zu verbessern. Doch Alan Thompson kränkt sie immer wieder mit seinem offenen Hass gegen die Deutschen. Ganz allmählich erkennt Netti das wahre Gesicht des in sich gekehrten Mannes und beginnt sein Handeln zu verstehen. Als starke, junge Frau ist Netti die Stütze ihrer Familie und muss auf vieles verzichten. Wie weit diese Aufopferung schließlich gehen wird, ahnt sie nicht.

Kritik zu dem Roman von Karin Lindberg:

Karin Lindberg ist es gelungen, mit ihrem Roman „Das Mädchen aus Ostpreußen“ eine sehr bedeutsame Etappe deutscher Geschichte lebendig zu beschreiben. Dabei greift sie auf einen klugen Schachzug zurück. Sie schreibt in zwei Handlungssträngen, die sie in unterschiedlichen Zeiten ansiedelt. Da ist einerseits die Geschichte von Netti, die 1945 in Lüneburg spielt. Auf der anderen Seite erzählt die Autorin die Geschichte von Nettis Enkelin, die Anfang der 1990er Jahre einen Neuanfang wagen muss. Der gesamte Roman ist in übersichtliche Kapitel unterteilt, sodass es nicht schwerfällt, alle Charaktere zu überschauen.

Netti ist eine sehr eindrucksvolle Figur, die vor allem mit ihrer herzlichen und praktischen Art überzeugt. Sie gibt nie auf und versucht, das Leben für ihre Familie so erträglich wie möglich zu machen. Die starke, junge Frau spiegelt das Schicksal unzähliger Vertriebener wieder. Dass Karin Lindberg vorab genau recherchiert hat, wird spätestens an den Stellen deutlich, an denen das typisch ostpreußische Essen erwähnt wird oder die geläufigen Regeln zu Zeiten der Besatzung durch die Briten geschildert werden. In ihrem Roman „Das Mädchen aus Ostpreußen“ nimmt die Autorin ihre Leser mit auf eine berührende Reise in die Vergangenheit und gibt sehr lebendige Eindrücke in das Leben der Vertriebenen aus Ostpreußen.

Der Wechsel zwischen den Hauptfiguren und den zeitlichen Ebenen gelingt ihr sehr gut, obwohl ich zugeben muss, dass ich von den Kapiteln um Netti und ihr Leben stärker beeindruckt war. Wie sich letztendlich alles zusammenfügt, erhofft der Leser in seinem Inneren. Es ist ein rundum gelungener Abschluss. Karin Lindberg schreibt sehr emotional und berührend. Sie spart nicht mit Details, schreitet aber dennoch in ihrer Erzählung zügig voran. Sie lässt eindrucksvolle Bilder beim Lesen entstehen, wodurch die Nachkriegszeit mit all ihrer Not beinahe gegenwärtig wird. Jeder einzelne ihrer Protagonisten ist sehr genau und feinfühlig ausgearbeitet. Sie alle wachsen in dieser für jedermann schwierigen Zeit.

Auch mit Nettis Enkelin ist es der Autorin gelungen, ein interessantes Porträt zu schaffen. Natürlich kämpft sie mit eher gewöhnlichen Problemen, wächst aber ebenso und erkennt, wie wichtig der familiäre Zusammenhalt ist. Karin Lindberg erinnert in „Das Mädchen aus Ostpreußen“ an eine besondere Zeit, regt zum Nachdenken an und hat einen berührenden Roman geschaffen, der Geschichte lebendig werden lässt.

Mein Fazit:

Dieser Roman richtet sich vor allem an diejenigen, die diesen Teil der Geschichte vielleicht noch nicht aus den Erzählungen von Groß- und Urgroßeltern kennen. Er erzählt auf berührende Weise vom Schicksal unzähliger Vertriebener und gibt interessante Einblicke in die damalige Zeit. Wer die Geschichten seiner eigenen Angehörigen kennt, wird vieles in diesem Buch wiedererkennen. Es lohnt sich, diese Reise in die Vergangenheit anzutreten.

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