Um was geht es in „Rachegeist“ von Cai Jun?
Ein schöner Sommertag im Juni 1995. In Nanming, einer Stadt im Norden Chinas wird das Leben des Lehrers Shen Ming komplett auf den Kopf gestellt. Der Lehrer für Literatur am ortsansässigen Gymnasium wird verdächtigt, seine Schülerin Liu Man getötet zu haben. Der Mordfall schlägt hohe Wellen, bis Shen Ming wenige Tage später in einem alten Fabrikgelände erstochen aufgefunden wird. Rache? Der Polizeibeamte Huang Hai hat jetzt zwei Fälle, die er aufklären muss. Neun Jahre später wird auch Shen Mings Mörder getötet und es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Shen Ming aus dem Reich der Toten zurückgekehrt ist und auf Rache aus ist.
Kritik zu dem Roman von Cai Jun:
„Rachegeist“ ist ein ungewöhnlicher Roman. Schon allein deshalb, weil ein Spannungsroman von einem chinesischen Autor eher selten den Weg in die deutschen Buchläden findet. Und natürlich muss man ihm dann, sicher auch auf Grund des Themas, ein Prädikat geben. In diesem Fall einen Vergleich mit Stephen King. Ob das sinnvoll ist, lassen wir einfach mal dahingestellt. Fest steht, dass Cai Jun sich in seiner Heimat großer Beliebtheit erfreut. Obwohl gerade etwas über vierzig Jahre, hat er mehr als dreißig Romane veröffentlicht, die zu einem Großteil auch im Fernsehen oder im Kino adaptiert wurden.
Dieser Roman spielt über mehrere Jahre (fast zwei Jahrzehnte), die sich von kurz vor dem Tod von Shen Ming bis zur endgültigen Lösung des Rätsels erstrecken. Dieses Rätsel entfaltet sich nur Stück für Stück, während die Protagonisten langsam herausfinden, was in den Nächten vor Shen Mings Mord wirklich passiert ist. Lässt man sich auf „Rachegeist“ ein, wird man sehr schnell feststellen, dass der Roman anders ist, als vieles, was sich auf dem deutschen Buchmarkt tummelt. Der Autor scheint sich weder um gängige Regeln, noch um handwerkliche Kniffe zu kümmern. Munter mischt er Elemente des Krimis mit einer dicken Portion Mystery und einer kleinen Liebesgeschichte und baut so einen interessanten Plot auf. Zahlreiche Überraschungen warten auf den Leser, der ein ums andere Mal auf eine falsche Spur geschickt wird. Immer wieder fragt man sich, wer an der damaligen Verschwörung beteiligt war.
Das wäre alles ganz wunderbar, wenn da nicht der ungeheuer gewöhnungsbedürftige Schreibstil wäre. Es scheint fast, als verzichte Cai Jun bewusst auf Emotionen. Stellenweise wirkt der Roman wie eine nüchterne Reportage aus einer großen chinesischen Tageszeitung. Das bremst ein wenig den Lesespaß aus. Hinzu kommt, dass der Autor es auch beim Personal recht kühl gehandhabt hat. Natürlich kann und muss nicht jeder Protagonist sympathisch sein. Aber ein Roman lebt doch letztlich davon, dass man als sich als Leser mit einer Figur identifizieren möchte. Das fällt hier ausgesprochen schwer, da es nicht eine Person gibt, die wirklich ansprechend ist oder zumindest im Ansatz so dargestellt wird. Dass die Vielzahl chinesischer Namen wie Shen Ming, Ouyang Xiazhi oder He Quinying die Lektüre auch nicht gerade erleichtert, ist ein weiterer Punkt, der das Lesevergnügen für Europäer ein wenig ausbremst.
Unterm Strich ist „Rachegeist“ von Cai Jun ein Roman mit Licht und Schatten. Auf der positiven Seite steht die geschickte und gelungene Verknüpfung unterschiedlicher Genres, die zu einem spannenden Plot verwoben werden. Auf der negativen Seite stehen ein äußerst nüchterner Erzählstil und Figuren, die zu kalt und glatt agieren. Aber vielleicht ist das auch typisch für die chinesische Literatur.
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- Autor: Cai Jun
- Verlag: Piper
- 512 Seiten