Um was geht es in „Das Attentat“ von Loïc Dauvillier und Glen Chapron?
Warum ist aus Sihem Jaafari eine Selbstmordattentäterin geworden? Ihr Mann Amin kann das nicht begreifen. Die Welt des Chirurgen wird plötzlich auf den Kopf gestellt, als er eines Nachts die Leiche seiner Frau identifizieren soll und dabei erfährt, dass sie eine Attentäterin war. Die beiden lebten seiner Ansicht nach gut als Palästinenser in Israel. Warum hat Sihem das anders gesehen? Ein Abschiedsbrief seiner Frau schickt Amin auf eine Reise nach Betlehem, wo er versucht, das Bild von seiner Frau neu zusammenzusetzen und ihre Beweggründe zu begreifen. Er muss jedoch erkennen, das seine Familie tief verstrickt ist in die Untergrundbewegung, die für ein freies Palästina kämpft. Letztendlich will sogar seine Nichte einen Anschlag verüben. Amin will sie aufhalten …
Loïc Dauvillier und Glen Chapron legten 2014 mit „Das Attentat“ eine immer noch hoch aktuelle, politische und tragische Graphic Novel vor. Es ist die illustrierte Umsetzung des Romans von Yasmina Khadra (das Pseudonym des Schriftstellers Mohammed Moulessehoul). Diese packende Geschichte über den Nahostkonflikt und seine Auswüchse wurde in der illustrierten Graphic Novel gestrafft und in eindrückliche Bilder umgesetzt. Die typisch comichaften Zeichnungen bilden einen interessanten Kontrast zur Härte der Story, während sie gleichzeitig dennoch die Dramatik betonen.
Das Leben von Amin Jaafari verändert sich nicht einfach, es wird von der Tat seiner Frau ebenso zerstört wie das ihrer Opfer. Er kann ihre Tat nicht verstehen, und seine Spurensuche in der Heimat ändert daran wenig. Denn das, was man ihm dort erzählt, ist nicht das was er hören will. Es ist ein störender Punkt an „Das Attentat“, dass es keine einfachen Erklärungen gibt. Denn wie Amin erfährt der Leser nicht wirklich, wie eine scheinbar integrierte Frau sich dermaßen – und auch von allen unbemerkt – radikalisieren kann. Aber es ist auch der Punkt, der wohl besonders realistisch ist. In gewisser Weise ist der gut integrierte Chirurg Amin ein Außenstehender, der sich von den Problemen seiner Mitmenschen ein Stück weit entfernt hat. Er lebt nicht in den palästinensischen Autonomiegebieten und kann darum nur versuchen, hinter die Fassaden zu blicken, aber ein wirklicher Einblick entsteht so für ihn nicht. Das irritiert und führt dazu, dass sich auch der Leser ein bisschen an „Das Attentat“ reibt – und das ist gut, denn der ganze Comic ist so weit wie möglich von unserer eigenen Komfortzone entfernt, wie es nur möglich ist.
„Das Attentat“ will und kann uns nicht verstehen machen, warum die eine oder die andere Seite so handelt, wie sie es tut. Der Band regt zum Nachdenken an und macht die Verfahrenheit einer ganzen Region deutlich. Das ist so wenig tröstlich wie das Ende der Geschichte, die insgesamt schonungslos, hoffnungslos und gleichzeitig doch einfühlsam erzählt und umgesetzt ist.
Mein Fazit zu dem Comic von Loïc Dauvillier und Glen Chapron:
„Das Attentat“ setzt ein schwieriges Thema in einer gut aufgemachten, hochwertigen Graphic Novel um. Sie zeigt die Auswirkungen von Religion und Politik auf einzelne Menschen, und sie tut das spannend und emotional. Dabei wird nicht etwa eine Seite bevorzugt, im Gegenteil: Dem intelligenten, logisch denkenden Arzt Amin Jaafari fehlt das Verständnis für Dinge, die außerhalb einer vernünftigen, nachvollziehbaren Erklärung liegen. Und genauso bleibt auch er Leser nach dieser Geschichte zurück. Wer also darauf hofft, die Motive eines Attentäters nach der Lektüre besser begreifen zu können, wird von dieser Comicversion des Romans „Die Attentäterin“ sicher enttäuscht. Allen anderen möchte man diesen Comic von Loïc Dauvillier aufgrund seiner hervorragenden Umsetzung ans Herz legen.
Die Graphic Novel „Das Attentat“ bestellen:
Produktinfos:
- Verlag: Carlsen
- Format: ca. 24,6 cm x 17,7 cm
- Seiten: 160
- Bei Amazon erhältlich als: Buch