Rezension zu „Das Geheimnis von Zimmer 622“ von Joël Dicker

Um was geht es in „Das Geheimnis von Zimmer 622“ von Joël Dicker?

Der berühmte Schriftsteller Joël Dicker will im Sommer 2018 in Genf etwas zur Ruhe kommen. Dafür mietet er sich im noblen Hotel Palace de Verbier ein. Doch anstatt die Dinge zu verarbeiten, die in seinem Umfeld geschehen sind und wegen denen er hierhergekommen ist, lernt er die Engländerin Scarlett Leonas kennen. Durch die geheimnisvolle Frau erfährt Joël, dass es in diesem Hotel vor vielen Jahren im Zimmer 622 einen Mord gegeben hat, der bis heute nicht aufgeklärt wurde. Passiert ist das Verbrechen seinerzeit im Rahmen eines Treffens einer renommierten Bank, das alljährlich in dem Hotel stattgefunden hat. Zusammen mit Scarlett begibt sich der Schriftsteller auf Spurensuche. Doch das ist alles andere als leicht, denn es gibt Kräfte, die nicht wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt, zumal das Zimmer offiziell gar nicht existiert.

Kritik zu dem Roman von Joël Dicker:

Es gibt derzeit nur wenige Autoren, die Unterhaltungsliteratur und die hohe Kunst des Schreibens so kombinieren können, dass sowohl eine breite Leserschaft, als auch das Feuilleton immer wieder in Jubelstürme ausbrechen. Einer dieser Autoren ist Joël Dicker. Nachdem er mit seinem Debüt „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ einen Welterfolg ablieferte, kommt nunmehr mit „Das Geheimnis von Zimmer 622“ sein vierter Roman auf den Markt. Wer die inhaltliche Zusammenfassung gründlich gelesen hat, wird jetzt womöglich stutzen, heißt doch die Hauptfigur Joël Dicker. Genau das ist die erste große Besonderheit dieses etwas mehr als 600 Seiten starken Buches. Der Autor hat sich selbst zum Protagonisten gemacht und erzählt zudem aus der Ich-Perspektive. Eine ungewöhnliche, durchaus originelle Idee, da man dadurch nicht weiß, was Fakten und was Fiktion ist. Doch genau das macht gute Literatur aus.

Allerdings ist das bei Leibe nicht alles, was „Das Geheimnis von Zimmer 622“ zu bieten hat. Im Gegensatz zu seinem zweiten Roman „Die Geschichte der Baltimores“, bei denen man bis zur letzten Seite nicht wusste, was das Geheimnis der Familie ist, gibt es hier einen klassischen Mordfall als Ausgangssituation, der im weiteren Verlauf all das mit sich führt, was man von einer solchen Story erwartet: Intrigen, Verrat und gefährliche Liebschaften. Im Mittelpunkt steht eine alteingesessene Bankiersfamilie, die alles daran setzt, das Geheimnisse das bleiben, was sie sind. In unterschiedlichen Zeitebenen taucht man in die Hintergründe der Familie ein. Dabei hat Joël Dicker erneut großen Wert auf differenzierte Charaktere gelegt. Sicher, er lässt bei seinen Figuren kaum eine menschliche Untiefe aus, doch der Leser rutscht durch die hervorragend umgesetzte Ich-Perspektive in die Rolle des ermittelnden Schriftstellers. Dabei muss man allerdings genau hinschauen, um das Geflecht aus Lügen, Intrigen, Gut und Böse zu durchschauen.

Das sorgt dafür, dass sich insbesondere der Beginn in die Länge zieht. Im Gegensatz zu seinem letzten Roman „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“, in dem nicht eine Seite überflüssig war, hätten hier die ersten rund zweihundert Seiten durchaus etwas gekürzt werden können. Hat man diese Phase aber überwunden, bekommt man das, was man von dem schweizerischen Schriftsteller gewohnt ist: Eine fesselnde Geschichte, die Anspruch und Unterhaltung, Kunst und Krimi und Fakten und Fiktion hervorragend vermischt. Gerade die Szenen, in denen der Autor dem verstorbenen Verleger Bernard de Fallois gedenkt, der ihn tatsächlich entdeckt und gefördert hat, bewegen und machen klar, was Joël Dicker für den Mann empfunden hat. Ansonsten sind die Kapitel recht kurz, lesen sich daher sehr schnell und viele Cliffhanger sorgen dafür, dass man den Roman kaum aus der Hand legen kann.

Wer die bisherigen Bücher von dem Schriftsteller mochte, wird von „Das Geheimnis von Zimmer 622“ nicht enttäuscht sein. Von kleinen Längen abgesehen, ist ihm erneut ein spannender Roman gelungen, der den Leser bis zum Schluss begeistern wird.

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