Um was geht es in „Grenzgänger“ von Mechtild Borrmann?
1947 ist ein Schicksalsjahr für die Geschwister Schöning: Ihre Mutter stirbt, der Vater leidet noch immer an den Folgen seiner Erlebnisse im Krieg. Er kann nicht für die Kinder sorgen. Henriette, die älteste Tochter, die alle Henni nennen, will sich fortan um die Familie kümmern. In der Nachkriegszeit, in einem Dorf an der Grenze zu Belgien, bedeutet das für viele vor allem eine Einnahmequelle: Schmuggel. Auch Henni wird zur Kaffee-Schmugglerin. In den frühen 1950er Jahren nimmt sie auch ihre Geschwister mit auf die riskanten Wanderungen durchs Moor und über die Grenze. Doch das Schicksal schlägt erneut zu: Die Gruppe wird von Grenzern erwischt und Hennis kleine Schwester Johanna erschossen. Henni, gerade einmal 17, kommt in eine Besserungsanstalt, ihre Brüder in ein katholisches Heim. Dort herrschen unmenschliche Verhältnisse: Die beiden werden misshandelt, erleben grausame Strafen. Als Henni längst erwachsen ist, weiß sie nicht, was aus den Brüdern wurde. Sie wird nie aufgeben, nach ihnen zu suchen, muss aber erneut einen schweren Schlag verkraften, als man sie in den 1970er Jahren des zweifachen Mordes bezichtigt …
Kritik zu dem Roman „Grenzgänger“:
Es sind wahrhaft dunkle Jahre, die Mechtild Borrmann in „Grenzgänger“ schildert: Ein Nachkriegsdeutschland, an das niemand erinnert werden mag; eine Zeit fernab des vielgelobten Wirtschaftswunders. Denn wunderbar ist für die Kinder, deren Leben die Autorin hier aufzeigt, einfach gar nichts. Dass die Zustände in den Kinderheimen jener Zeit tatsächlich so schrecklich waren, weiß Mechtild Borrmann, wie man aus dem Nachwort entnehmen kann, aus Gesprächen mit Zeitzeugen. Nicht in jedem Heim natürlich – bei ihren Recherchen fand sie auch Menschen, die sich durchaus nicht schlecht an diese Zeit erinnern. Es ist wichtig zu wissen, dass dies wohl nicht der Standard war, weder in den Heimen selbst noch in jener Zeit. Und dennoch haben viele Kinder unbestritten furchtbar gelitten und leiden noch als Erwachsene daran. Es ist schwer zu verdauen, was für Methoden angewendet wurden, um die Kinder gefügig zu machen – um in den Augen der Verantwortlichen zu „besseren“ Menschen zu werden. Mechtild Borrmann beschönigt nichts; die Demütigungen, Schläge und schlimmere Strafen, die selbst für die Leser schmerzhaft sind, wirken beklemmend real – und zu wissen, dass sie es für viele Kinder einst waren, tut weh.
Doch es geht in „Grenzgänger“ nicht nur um diese wahrhaft schlimmen Erlebnisse. Es geht auch um dörfliches Leben, um die engen und starren Verhältnisse nicht nur jener Zeit, sondern auch an einem Ort, in dem ein Einzelner sich einzufügen hat und um seinen Platz wissen sollte. Henni sollte eigentlich die Höhere Schule besuchen, dazu hatte sie das Zeug, doch konnte sie ihre Familie nicht im Stich lassen, für die der Vater nicht mehr sorgen kann. Das schlaue, aber durchaus eigensinnige Mädchen bringt den Pfarrer gegen sich auf, ihre Art weckt aber auch bei den Dorfbewohnern Misstrauen.
All das und viel mehr schildert Mechtild Borrmann in einem geschickten Wechselspiel von unterschiedlichen Erzählfiguren und Zeitebenen. Ihr Stil ist klar, lebendig und spannend. Sie versteht es meisterlich, Zeitgeschichte mit Krimi-Elementen zu verknüpfen.
Mein Fazit zu „Grenzgänger“:
Mechtild Borrmann wird gern ins Krimi-Genre einsortiert, was der vielseitigen Autorin aber kaum gerecht wird. Um einen Kriminalfall geht es in „Grenzgänger“ nur am Rande. Er ist der Rohbau für eine viel tiefer gehende Geschichte, die verschiedene Vorstellungen von Recht und Unrecht in turbulenten Zeiten aufzeigt. Der Roman ist daher eine Empfehlung nicht nur für Freunde von historischen Romanen oder Krimis, sondern für alle, die gern berührende, spannende, nachdenklich machende und schlicht sehr gut geschriebene Geschichten lesen.
Anmerkung: Hier findet ihr Infos und eine Liste der Romane von Mechtild Borrmann.
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